Ein Überblick über das Vorgehen und die Forschungsmethoden
Ein breites Spektrum qualitativer, quantitativer, experimenteller und simulativer Forschungsmethoden wird für die interdisziplinäre Forschungsarbeit genutzt, um der Komplexität des baulichen Gesundheitsschutzes gerecht zu werden. Die Methoden des baulichen Gesundheitsschutzes werden im Folgenden beschrieben.
Grundannahme
Die Grundannahme des baulichen Gesundheitsschutzes ist, dass unsere gebaute Umgebung Einfluss auf unsere Gesundheit hat. Indem wir diese gestalten, können wir im Umkehrschluss einige Umgebungsfaktoren beeinflussen, die sich auf unsere Gesundheit auswirken. Um die entsprechend erforderlichen Maßnahmen zu erforschen, muss zuerst geklärt werden, was relevante Einflüsse sind. Dies kann ganz unterschiedliche Zusammenhänge betreffen. Dazu gehören im Allgemeinen die Luftqualität, die das Infektionsgeschehen bei luftgetragenen Erregern beeinflusst, oder im Spezifischen bei manchen Gebäuden im Gesundheitsbereich die Durchführbarkeit der Händedesinfektion, die das Risiko von Erregerübertragungen reduziert. Als Grundlage müssen diese Zusammenhänge entsprechend erkannt, erforscht oder bereits existierendes Wissen dazu zusammengetragen werden.
Manche Zusammenhänge haben einen allgemeinen, infrastrukturübergreifenden Einfluss. Es gibt jedoch auch infrastrukturspezifische und individuelle Faktoren der Nutzenden, die das Infektionsrisiko beeinflussen und beim Bau mitgedacht werden müssen.
Definition relevanter Zusammenhänge des baulichen Gesundheitsschutzes
Nach dem Erkennen von Faktoren muss erstens herausgefunden werden, welche der Zusammenhänge relevant und kritisch für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden sind. Zweitens muss deren soziale, ethische, finanzielle, technische und organisatorische Durchführbarkeit geprüft werden. Denn manche Schutzmaßnahmen können oder sollten praktisch nicht umgesetzt werden. So kann beispielsweise theoretisch eine mit dem Ebolavirus infizierte Person überall in Deutschland einreisen bzw. eine Infektion erkannt werden. Gleichzeitig ist es nicht möglich, alle Krankenhäuser in Deutschland für die wenigen jemals zu erwartenden Fälle mit der aufwendigen Ausrüstung und ständigen Schulung des Personals auszustatten, die für die Einrichtung einer entsprechenden Sonderisolierstation notwendig wären. Die entsprechende Priorisierung kann durch eine Erhebung der Infektionszahlen und Erreger, des Orts der Infektion und Daten zur infizierten Person erfolgen, die dann statistisch ausgewertet werden.
Vielmehr ist es wichtig, sich die Grundlagen zu Übertragungswegen von Krankheitserregern und deren Häufigkeiten bewusst zu machen und, soweit möglich, entsprechende Schutzmaßnahmen beim Bau mitzuplanen, um Basishygienemaßnahmen zu ermöglichen. Beim Häufungen bestimmter Erreger beziehungsweise einer Pandemie sind weitere, je nach Erreger und Übertragungsweg erforderliche Maßnahmen zu treffen. Bauliche Voraussetzungen sollten entsprechend der für die jeweilige Infrastruktur relevanten Erreger mitgedacht werden. Die Angestellten kritischer Infrastrukturen sollten ein Grundverständnis zur Prävention übertragungsbezogener Infektionen beherrschen und durch regelmäßige Schulungen aufrechterhalten, um die Basishygiene zu gewährleisten und weiterführende Maßnahmen umsetzen zu können.
Gegenmaßnahmen entwickeln
Die Möglichkeiten, wie man auf die priorisierten Zusammenhänge zwischen gebauter Umgebung und unserer Gesundheit sowie unserem Wohlbefinden reagieren kann, sind vielseitig. Sie können bauliche, technische, materielle, persönliche, sozio-psychologische und prozessuale Maßnahmen umfassen.
Viele der Forschungsmethoden sind fachspezifisch. Jedoch müssen manche Maßnahmen disziplinübergreifend gedacht und erforscht werden, da sie nur so sinnvoll umgesetzt werden können. Wird beispielsweise eine räumliche Kohortierung durch den Grundriss ermöglicht, jedoch die Luft aus einer Kohorte in eine andere geleitet, ist die einzelne bauliche Maßnahme zur Prävention luftgetragener Übertragungen hinfällig. Genauso können Erkenntnisse aus einer Disziplin die Grundlage für die Forschung einer anderen festlegen. Zum Beispiel kann die Hygiene erheben, in welchen Infrastrukturen Desinfektionsmittel sinnvoll eingesetzt werden sollten, und die Bauforschung kann definieren, welche gängigen Materialien sinnvollerweise von der Materialwissenschaft beprobt werden sollen, um die chemische Alterung von Materialien zu erforschen.
Nicht jede Forschungsmethode eignet sich für jeden gewünschten Erkenntnisgewinn und Forschungskontext. Daher muss immer betrachtet werden, was die Ausgangslage und was die Forschungsfrage ist. Forschungsmethoden werden deshalb manchmal chronologisch oder parallel durchgeführt. Für das Projekt SAVE, das eine der Grundlagen für PlanGesund.info darstellt, wurden beispielsweise verschiedene Forschungsmethoden angewendet.
Die Hygiene hat anhand von Scoping Reviews eine Zusammenfassung über die relevanten, veröffentlichten Studien erstellt, um einen Überblick über die Lüftungssituation in den verschiedenen Infrastrukturen zu geben und die Wirksamkeit von Interventionen zur Verbesserung und Gewährleistung einer guten Infektionsprävention zu evaluieren. Zudem wurden Maßnahmen der anderen Disziplinen auf Basis des bestehenden Kenntnisstandes der Forschenden hinsichtlich ihrer Relevanz bewertet. Im Bau wurden aus vorangegangenen Forschungsprojekten Grundannahmen über mögliche Einflussfaktoren abgeleitet, die einen infektionspräventiven Grundriss auszeichnen. Anhand dessen wurden in einem Expertenworkshop verschiedene existierende Typologien der untersuchten Infrastrukturen vergleichend bewertet, um die Vor- und Nachteile gängiger Grundrisstypologien zu benennen. Außerdem wurde mittels qualitativer Inhaltsanalyse von Leitfadeninterviews mit Mitarbeitenden und Begehungen verschiedener Infrastrukturen explorativ erforscht, welche baulichen Herausforderungen es bei der Umsetzung von Maßnahmen während der Covid-19-Pandemie gab. Aus einer Kombination der Erkenntnisse wurden praktische Maßnahmen des baulichen Gesundheitsschutzes abgeleitet. Mittels Computational-Fluid-Dynamics-Simulationen wurde die Effektivität verschiedener baulicher Maßnahmen bei Schulklassen für die Infektionsprävention luftgetragener Infektionen erforscht und eine Priorisierung festgelegt, welche Räume insbesondere durchlüftet werden sollen. Experimentell wurden Materialproben künstlich chemisch, mechanisch und physikalisch gealtert, um Empfehlungen zur Materialwahl je nach Anforderung der zu erwartenden Abnutzung in unterschiedlichen Funktionsbereichen der Infrastrukturen auszugeben. Alle Forschungsmethoden werden in den Endberichten der jeweiligen Forschungsberichte und auf den Themenseiten der Disziplinen näher beschrieben.
Schlussendlich müssen die erforschten Maßnahmen hinsichtlich ihrer Durchführbarkeit bewertet werden, um in der Praxis angewendet werden zu können. Die Entscheidungen der Planenden eines Baus sind dann im besten Fall evidenzbasiert und nicht aufgrund persönlicher Meinungen getroffen worden. Sie erfolgen also auf der Basis empirisch zusammengetragener und bewerteter wissenschaftlicher Erkenntnisse.